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als CD-Tonträger bei Fischrecords
um € 18,00 (Inland) um € 18,40 (EU - weit) oder im Fachhandel |
„Die Musik?! Vergiss es! Für die Musik meinten
sich die verschwitzten Jungs zu interessieren, die mit ihren Pappbechern
voller Bier in der ersten Reihe vor der Bühne herumtrampelten. SEX APPEAL! Sophie Rois
STAHLSTADT Mitte der 1970er ist Linz ein nicht nur für
Jugendliche trostloses Pflaster. Die Stadt an der Donau ist vor allem
für ihre Industrie bekannt. Die aus den 1938 errichteten Reichswerken
Hermann Göring und den Stickstoffwerken Ostmark hervorgegangenen
Unternehmen VÖEST-Alpine und Chemie Linz AG prägen zusammen
mit den im Dritten Reich errichteten und im Volksmund “Hitler-Bauten”
genannten Arbeiterhochhäusern das Stadtbild. Kulturell ist, verglichen
etwa mit Salzburg, wenig los. Weltbekannt ist eigentlich nur die Linzer
Torte. Zudem ist Linz erst seit 1966 Universitätsstadt. Um vom “Stahlstadt”-Image
wegzukommen, erinnert man sich an den in Linz tätigen Anton Bruckner
und eröffnet 1974 das Brucknerhaus an der Donaulände. Fünf
Jahre später findet die erste Ars Electronica statt. Natürlich
hat Linz auch eine Popmusikszene mit den symphonischen Progressive-Rockern
Eela Craig und dem Ö3-Hitparaden-Duo Waterloo & Robinson als
exemplarische Aushängeschilder. Beides jedoch nichts, mit dem man
seine Jugend verschwenden will. Es muss doch was anderes geben. SWEET LITTLE SIXTEEN Ende 1976 besuchen die gerade mal 16jährigen Klassenkameraden Kurt Holzinger und Peter Donke ein Konzert im Katholischen Schülerzentrum STUZ, dem einzigen Jugendtreff mit Niveau und interessanten Kids in der verschlafenen Donaustadt Linz. Dort geht es zwar vor allem um das schulübergreifende Knüpfen von Kontakten zum jeweils anderen Geschlecht, aber es werden auch schon musikalische Gedanken und Erfahrungen zwischen zukünftigen “Stahlstadtkindern” ausgetauscht. Von besonderem Interesse für Donke und Holzinger ist an diesem Abend jedoch der Solo-Gitarrist der auftretenden Band Kasperltheater (u.a. mit Bernhard Praschl) Julius Zechner. Eigentlich einer großer Verehrer von Johnny Winter, hat er wie kein zweiter die Riffs und Soli von James Williamson, dem Gitarristen von Iggy & The Stooges zu deren “Raw Power”-Zeit, verinnerlicht. Zudem fesch, nett, offen schwul und stolz darauf. Eine Option, die sich Donke und Holzinger nicht entgehen lassen wollen. Prompt wird er der Band entwendet, wenig später werden zusammen mit dem Drummer Christian Unger (zu der Zeit ebenfalls Mittelschüler), der nicht nur ein Schlagzeug, sondern auch ein sogenanntes Jagdzimmer als Proberaum in der väterlichen Villa besitzt, die ersten gemeinsamen Songs eingeprobt. Darunter der von den Coasters bekannte Leiber/Stoller-Song “Poison Ivy”, einige Stücke der Rolling Stones sowie das Them-Schlachtschiff “Gloria”. Letzteres jedoch – soviel Punk muss sein – in der Version von Eddie & The Hot Rods. Womit schon hier das spätere musikalische Spektrum weiträumig abgesteckt wird. Den drei fadisierten und hormonell getriebenen Mittelschülern und dem zwischen Leder und campigem Drag pendelnden Buchhändlerlehrling fehlt jetzt nur noch ein Name. Und der soll es nicht nur in sich haben, sondern auch gleich klarmachen, dass man nix, aber auch gar nix mit den bisher in Linz ihr Unwesen treibenden Jazz- und Symphonik-Rockern zu tun haben möchte. Wie es der Zufall so will, war Julius Zechner im Sommer 1977 in London und berichtet von einem Sex-Shop-Besuch, bei dem er gehäkelte Schwanzwärmer namens “Willie Warmer” entdeckt und gekauft hatte. Der Name dieser Rose war gefunden: Willi Warma – gleichzeitig geheimnisvoll wie verrucht, auf Punk wie auf Glamrock verweisend und darüber hinaus so sexy wie sonst nichts in der damaligen österreichischen Musikszene.
ICH GEH’ NIE WIEDER ARBEITEN Im Sommer 1977 fährt Peter Donke wieder einmal nach
London, kommt noch etwas veränderter als bei seinen bisherigen England-Trips
zurück (wo er AC/DC bei ihrer ersten England-Tour sieht, die ersten
Punk-Fanzines sowie Ramones-Platten kennenlernt und daraufhin seine Jazzrock-Platten
wegschmeißt) und bringt im Reisegepäck Singles mit, die nicht
nur für Willi Warma die bisherige Welt verändern (u.a. “Anarchy
In The UK” und “God Save The Queen” von den Sex Pistols,
“White Riot” von The Clash sowie die erste LP der Damned).
Wenig später begibt sich auch Kurt Holzinger ins Herz der Punk-Explosion.
Der geplante Besuch eines Buzzcocks-Konzerts fällt zwar angesichts
einer aggressiven Pogo-Meute kurzerhand ins Wasser, dafür werden
erneute jede Menge Singles von der Themse zur Donau verfrachtet, und Willi
Warmas Informationsvorsprung in Sachen Punk wächst ins Unermessliche.
Ebenfalls aus England, wenn auch über dubiosere Kanäle, findet
eine von Peter Donke organisierte Gesangsanlage ihren Weg in den Proberaum,
und so geht kurz nach den Sommerferien das erste Willie Warma-Konzert
stilecht vor 30 Gästen an einem elternfreien Wochenende im Wohnzimmer
der Unger-Villa über die Bühne. Wie bei vielen Bands dieser
Zeit findet jedoch auch bei Willi Warma die offizielle Konzerttaufe in
einem Jugendzentrum statt. Ihren enormen Sinn für popstargerechtes
Auftreten (gepaart mit jeder Menge jugendlicher Präpotenz) und Style
zeigen Willi Warma dabei schon vor dem eigentlichen Auftritt, indem sie
gleich in einem Jaguar (gelenkt von einem befreundeten Arztsohn, der sich
Daddy’s Car schnell mal ausgeliehen hatte) vorfahren und dem edlen
Gefährt in ebenso glamouröser wie verwegener Verkleidung, sprich
geschminkt, mit Seidenschals und ergo ultrasexy, entsteigen. Musikalisch sind Willi Warma zu diesem Zeitpunkt eher
Pubrock als Punkrock auf der einen, eher Rhythm & Blues als Punkrock
auf der anderen Seite (dieses ewig Zwiespältige wird dann auch u.a.
ihr Ende besiegeln) und spielen 1978/1979 sogar mit einem fixen Pianisten
(Peter Sommerfeld). Jedoch geht es ihnen schon in ihren Anfangstagen darum,
weniger die Rolling Stones oder sonst eine Sixties-Band nachzuspielen,
als viel eher deren Quellen ausfindig zu machen. Denn, so die simple Logik
hinter dieser Art von Quellenstudium, wenn man schon nicht in England
oder den USA aufgewachsen und sozusagen vor Ort popsozialisiert wurde
(auch wenn Linz durchaus einer Industriestadt wie Newcastle entsprechen
könnte), dann schafft man sich zumindest bei den musikalisch-ästhetischen
Ausgangspositionen einen Vorteil gegenüber all den anderen Bands,
die es entweder nicht wissen oder denen es egal ist, von wem die gerade
gecoverte angloamerikanische Band ihrerseits beeinflusst wurde. Wenn Pop meint, immer mehr zu wollen, als das Leben hergibt, und Punk dafür steht, alles zu wollen, nur nicht zu wissen was, dann gilt für Willi Warma beides. Punk als Idee von Pop und Pop als Idee von Punk macht hier den Blick frei auf jene übersehenen subversiven Pop-Potentiale, auf die sich auch die vermeintlichen direkten Vorbilder (Velvet Underground/Lou Reed, The Stooges, The Kinks, New York Dolls, David Bowie) beriefen. Beat war dabei ebenso wichtig wie Sixties-Girlgroups, Rhythm & Blues, Glam- und Pubrock oder Phil Spector. Mittlerweile ein vertrauter Kanon, zu Zeiten von Willi Warma für viele ein noch zu entdeckendes Wunderland.
CAFÉ LANDGRAF In diesem allgemeinen Aufbruchsgeist entdeckt Bernhard Praschl für Willi Warma mit dem nahe der Nibelungenbrücke in Alt-Urfahr Ost gelegenen ehemaligen Tanzpalast Café Landgraf einen idealen, weil ebenso heimelig-zerschlissenen wie trashig-altmodischen Auftrittsort, der sich binnen kurzer Zeit vom Treffpunkt für einsame Schachspieler zum Hot Spot der Linzer Punk-, New Wave- und Underground-Szene wandelt. Willi Warma spielen dort erstmals im Februar 1978, wenig später wird das Lokal sowohl zum verlängerten Wohn- bzw. Jugendzimmer wie zum Band-Domizil. An der Theke gibt es “Willi Warma Brötchen”, die Jukebox wird mit Stooges, Velvet Underground und genau jenen Rock’n’Roll-Singles bestückt, die auch in Martin Scorseses “Mean Streets” den Soundtrack zum desperaten Nightlife liefern. Bald tummeln sich bei den Konzerten an die 300 Leute, wobei nicht wenige extra aus Wien kommen, um Willi Warma zu sehen und an der sie umgebenden Szene teilzuhaben. Diese Szene ist an sich schon eine Besonderheit und besteht aus einem so unvergleichlichen wie schwer unter einen Hut zu bringenden Sammelsurium zwischen Bohemia und Academia, zwischen Lehrlingen, (Mittel-)SchülerInnen, StudentInnen, (Lebens-)KünstlerInnen, Freaks und Teenies. Willi Warma treten ja nicht nur im Café Landgraf auf. Sie spielen ebenso auf der Linzer Kunstuni und pflegen gute Kontakte zum Linzer Maler, Experimentalfilmer und überzeugten Velvet Underground/The Stooges-Fan Dietmar Brehm, bei dem sie nicht nur in der Wohnung auftreten, sondern der sie auch in einem seiner Filme verewigt. Auch über den kurzzeitigen “Band-Manager” Bernhard Praschl und den Filmemacher, Kameramann und Andy Warhol-Fan Wolfgang “Lewo” Lehner ergeben sich plötzlich direkt vor Ort (speziell auch nach der Besetzung der ganz ideal hinter dem Café Landgraf gelegenen Stadtwerkstatt 1979) Connections, Transfers und Überschneidungen zwischen Rock’n’Roll, Underground-Filmen und Pop-Art, von denen hierzulande sonst nur gelesen werden konnte, dass es so etwas anderswo gibt. Gerade durch diese mannigfaltigen Referenzfelder und sich überschneidenden Linien eröffnen sich nicht zuletzt auch Punk bzw. Popkultur allgemein als etwas, das sich nun auch – sozusagen hautnah – jenseits des ausschließlichen Musikgenusses erschließen lässt. Die Aufbruchsstimmung in Linz Ende der 1970er lässt sich nicht allein an Musik festmachen, sondern erklärt sich viel eher auch durch das Vermischen, Durchmischen und Durchdringen kurzfristig durchlässiger Szenen und Milieus mit Willi Warma als alles beschleunigenden Kulminationspunkt. Willi Warmas Punk aus dem Geiste der (indirekten) Vorläufer von Punk zeugt nicht nur von sauguten Schallplattensammlungen, sondern ist auch ein Soundtrack für beinahe Gleichaltrige, die ihre Bravo-Poster von T.Rex, Sweet, Gary Glitter, Mud, Hello, Slade oder Kiss nicht gleich im Punk-Bildersturm runterreißen wollen. Kurz: Linz (bzw. Alt-Urfahr Ost), Willi Warma und das Café Landgraf sind für gut zwei Jahre der heißeste Scheiß in der Alpenrepublik.
DONAUSTRAND RISING 1980 erscheint mit der in blauem Vinyl gehaltenen und nicht nur dadurch zum Kult-Objekt avancierten “Donaustrand”-EP das erste offizielle (noch in Englisch gesungene) Tondokument von Willi Warma. Produziert und initiiert vom österreichischen Punk-Urgestein und Wochenend-Linz-Pendler Ronnie Urini, damals Drummer der Wiener Neo-Psychedelic-Heroen The Vogue (mit dem Exil-Linzer Gary Danner – heute Station Rose – an Gitarre und Vocals), versammelt die Single die Vinyl-Debüts von jeweils zwei Bands aus Wien (The Vogue und Tom Pettings Hertzattacken) und Linz (Willie Warma und Miss Molly’s Favourites). Willi Warmas “Streetcorner Hero” mixt gekonnt Kinks, David Bowie und New York Dolls, zeigt aber auch schon die kommenden Qualitäten der Band. Die Kunst, Teenager/Outsider-Hymnen mit ungeheurem Pop-Appeal zu schreiben, immer leicht melancholisch, aber dennoch aufbegehrend und mit genau jenen Hooklines, Refrains, Riffs und Breaks versehen, die es braucht, um im Ohr hängenzubleiben – auch wenn das alles vordergründig mit Punkrock nur die Attitude gemein hat. Willi Warma verkaufen allein in Linz (wo die EP sowieso eher als Willi Warma-Single mit drei B-Seiten betrachtet wird) locker 500 Stück. Auch der staatliche Popsender Ö3 merkt langsam, dass sich im rot-weiß-roten Untergrund etwas tut und featured nunmehr – vor allem in der legendären “Musicbox” – neue, junge und mit Austropop rein gar nichts am Hut haben wollende Bands wie Chuzpe, The Vogue, Minisex, Tom Pettings Hertzattacken und eben auch Willi Warma, deren überregionaler Aufstieg zur “einzigen österreichischen Rock’n’Roll-Band, die auch wie eine Rock’n’Roll-Band aussah” (“Der Wiener”) sich u.a. einer “Ö3 New Wave”-Gala aus dem Wiener U4 verdankt. Es folgen Artikel in österreichischen Musikzeitschriften wie “Rennbahn Express” und “?Musicman” – mit dem Effekt, dass Willi Warma nun auch Teenies (vornehmlich weiblichen Geschlechts) ansprechen. Für werdende Rock’n’Roll-Stars ein untrügliches Zeichen, dass es einfach bergauf gehen muss.
ICH SPRENGE ALLE KETTEN Ab 1980 spielen Willi Warma fast öfter in Wien als in Linz (jedoch auch in Graz, Innsbruck, Salzburg und sogar Bad Ischl sind sie gern gesehene Gäste) und werden – als einzige Band aus den Bundesländern – schnell in die dortige Punk/New Wave-Szene rund um Lokale wie das U4 und das Metropol aufgenommen. Sogar die “Kronen Zeitung” wird auf die vier kajalgeschminkten, gefährlichen Sex-Appeal verbreitenden und im Falle von Gitarrist Julius Zechner in Strapsen auftretenden Linzer aufmerksam und tituliert Sänger Kurt Holzinger ob dessen orange gefärbter Haare kurzerhand mit “karottenhaariger Willy”. Willi Warma stehen nun durchschnittlich sieben- bis achtmal pro Monat österreichweit auf Live-Bühnen und bringen selbst in das allerletzte Provinzkaff eine Ahnung von Rock’n’Roll – sowohl als Style- wie als Attitude-Rebellion wie auch als utopisches Versprechen, doch ein irgendwie richtiges Leben im falschen finden zu können. Das probieren zwar andere auch, aber Willi Warma sind die einzigen, denen das auch abgenommen wird und wo man am Tag danach, wenn sich der Kater langsam wieder verflüchtigt, nicht wieder ins provinzielle (Da-)Sein zurückgeworfen wird. So was geht natürlich nicht nur über klasse Musik, was Willi Warma auch ganz genau wissen. Als “die arroganteste Band im Land” (“Der Wiener”) gilt es auch, wie Popstars zu agieren, ohne wie peinliche Kopien angloamerikanischer Vorbilder zu enden. Und genau das war bei Willi Warma nie der Fall. All das unnahbare, unberechenbare, zornig-aggressive Gehabe, das verspätete Auftreten, die Ekstase während des Spielens (legendär etwa Julius Zechners Version von “I’m Waiting For My Man”, nackt in Schlüpfern und Strapsen gesungen), die Exzesse nicht nur am Ende der Shows (die teilweise zu Auftrittsverboten führen), die Publikumsprovokationen, der Sarkasmus und Zynismus der Zwischenansagen, das zerstörte Mobiliar (in Salzburg wird etwa während eines Konzerts bei einem Uni-Streik ein Hörsaal, der als Bühne fungiert, während der Zugabe “I Wanna Be Your Dog” auseinandergenommen) wie auch das mitunter Von-der-Bühne-Fallen und die schiere “Raw Power”, gepaart mit einem Sex-Appeal, von dem heute noch geschwärmt wird, ist zwar auch ganz klassiches Pop-Show-Entertainerhandwerk, aber Willi Warma produzieren damit einen Mehrwert, der nicht nur das kollektive “Stahlstadtkinder”-Bewusstsein sozusagen in die Bundesländer trägt, sondern einen auch selber teilhaben lässt an einer verschworenen Gemeinschaft. Als Eintrittskarte reicht oft das Erkennen einer Cover-Version aus dem – damals noch äußerst obskuren – 1960er/1970er Proto-Punk-Songbook. Und dann, speziell wenn sie einen guten Tag haben, können sie ganz unvermutet auch relativ umgänglich sein, jedoch nicht ohne einem selbst eine Dosis Arroganz, Zorn und Unnahbarkeit mit auf den Weg zu geben.
NICHT BLÖD IM HIRN Dennoch besteht das Programm bis 1980 noch vorwiegend
aus Cover-Versionen und eigenen, jedoch noch in Englisch gehaltenen Songs.
Der Einschnitt kommt mit Bands wie Fehlfarben, deren epochales Album “Monarchie
und Alltag” 1979 erscheint. Willi Warma erkennen rasch die Zeichen
der Zeit, und Sänger Kurt Holzinger tauscht kurzerhand die bisherigen
englischen Texte, teilweise auch bei den Cover-Versionen, durch deutsche
aus. Geschult durch den Sozialrealismus der Kinks, aber selber auch nicht
gerade unbelesen, schreibt er Texte, die nicht nur ein Zeitgefühl
einfangen und kommentieren, sondern auch – was vielleicht noch viel
wichtiger ist – dem Gewusel an Erfahrungen, Erlebnissen, Frustrationen,
Wahrnehmungen, Wünschen und Entfremdungen einer ganzen Generation
eine Artikulationsmöglichkeit geben. Beste Popmusik war schon immer
ein stellvertretendes Sprechen für andere bei gleichzeitigem Aufruf
zur Selbstermächtigung. Es entstehen soon-to-be classics wie “Blöd
im Hirn”, “Janine D” (mit der unglaublichen Zeile “Janine
kennt mein Bild aus dem Rennbahn Express, und ich kenn’ Janine vom
letzten Drogenexzess”), “Typische Mädchen” (gegen
geschlechtskonforme Rollenerfüllung und die Marktgesetze des Kapitalismus
im allgemeinen), “Mir ist die Welt heute viel zu rund” (über
Pillen auf Krankenschein gegen die normative Kraft des Faktischen) sowie
Doppelbödiges wie “Schichtarbeiterprogramm” (“UFA-Filme
sind wie das Leben, ich habe meine Chance vergeben”) und Parolenhaft-Programmatisches
wie “Ich gehe nie wieder arbeiten” (das bekannte Situationisten-Motto
“Nie mehr arbeiten!” als “Lieber spiel’ ich Rock’n’Roll
und treib’ es wie dein Popidol” übersetzt). Vielleicht produzieren sie auch deshalb nie Blödel-New-Wave oder missverstandenen Punk als einfach nur doppelt so schnell und besoffen gespielten Hardrock – sie lieben Pop einfach zu ernsthaft, um damit Späßchen zu treiben. Willi Warmas Musik und Kurt Holzingers Texte führen aber auch schon Popwissen (im Sinne von Popsongs über Popmythen schreiben) als kompositorische Praxis zu einer Zeit ein, als solche Vorgangsweisen erst in Ansätzen popdiskursiv erfasst werden. Auch wenn es so scheinen mag, geht es bei ihnen nie um das Mittelbare, sondern immer schon um ein (medial) Vermitteltes, das aus Zeitungstexten, Fernsehvormittagen, Kinofilmen, Popsongs, Werbeslogans, alltäglichen Phrasen und Parolen zusammengeklaubt bzw. herausgerissen ist (worin sie wiederum den Ramones ähneln).
STAHLSTADTKINDER Den Höhepunkt bildet jedoch das leicht an den Ska-Sound
der Specials erinnernde und sogar mit angedubbten Gitarren aufwartende
“Stahlstadtkinder”. Zuvor noch als “I Can’t Get
No Love In My Hometown” im Programm geführt, zeigt sich hier
das wahre Potential der Band, indem sie einer ganzen Szene eine unverwechselbare
Hymne geben, einen Song, mit dem sich alle irgendwie dissidenten Stahlstadtkinder
sofort identifizieren können (“Stahlstadtkinder immer im Duell
/ Stahlstadtkinder leben viel zu schnell / Stahlstadtkinder in den Stahlfabriken
/ Und abends besoffen in den Discotheken”) und der ähnlich
motivierte Jugendliche in Restösterreich nur umso neidiger auf Linz
macht. Ein Hit also, mit dem eigentlich nichts mehr schiefgehen sollte
(1999 vom späteren Herausgeber der Linz-Anthologie “Es muss
was geben” Andreas Kump und seiner Band Shy gecovert). Dass bzw.
wie “Stahlstadtkinder” dann 1981 als Single veröffentlicht
wird, hat jedoch mit Rock’n’Roll Dreams eher wenig, mit dem
grundsätzlichen Verhältnis von Österreich zu Popkultur
dafür umso mehr zu tun. Denn Willi Warma werden von keiner Plattenfirma
entdeckt, sondern gewinnen schlicht und einfach den ersten Preis bei einem
Bandwettbewerb in Form einer Single-Produktion. Immerhin kann dafür
über Vermittlung des damaligen Willi Warma-Soundtechnikers James
Bourke, eines Schotten, den es nach Wels verschlagen hatte und der mit
seiner kleinen, aber umso kräftigeren Anlage den damals in Österreich
einzigartigen Willi Warma-Live-Sound maßgeblich beeinflusst (sie
im Gegenzug und zum Schaden der Band aber auch in die abgelegensten Landgasthäuser
reinbucht), im englischen Cambridge aufgenommen werden. Neben “Stahlstadtkinder” wird dabei auch die
von Ricky Shayne 1966 intonierte und von Giorgio Moroder und Michael Holm
komponierte Teenage-Rebellion-Hymne “Ich sprenge alle Ketten”
aufgenommen – ein bald unverzichtbares Willi Warma-Live-Stück
und eine exzellente Wahl, die jegliche Schlagerfallen versiert umgeht.
Allein der Refrain (“Ich sprenge alle Ketten und sage nein, nein,
nein, nein, nein!”) spiegelt und kommentiert das damalige Zeitgefühl
kongenial (bei insgesamt mehr als 60 im Song vorkommenden “Neins!”
auch kein Wunder). Selbst heute glauben einige noch, es handle sich dabei
um eine Willi Warma-Eigenkomposition. Mit dieser, eigentlich aus zwei A-Seiten bestehenden Single hätte nun im Grunde nichts mehr schiefgehen können. Nur interessieren sich Plattenfirmen, die Single-Produktionen als Bandwettbewerbspreise vergeben, nach der Preisvergabe nicht unbedingt für das fertige Produkt. Schon gar nicht, wenn mit dem Austropop-Duo Waterloo & Robinson bisher ganz andere Linzer Visitenkarten am Label-Roster standen und eine gewisse Stefanie Werger gerade zum kommenden Goldesel aufgebaut werden muss (wenig später versucht das Label dennoch sein New-Wave-Glück mit der Wiener Band Blümchen Blau). Ergo findet “Stahlstadtkinder” einerseits nur sehr schleppend seinen Weg in die Schallplattenläden und Elektrofachgeschäfte mit angegliederten Musikabteilungen, und wird die neue Linz-Hymne andererseits vom staatlichen Popsender Ö3 (angeblich nach einer Sitzung des Linzer Gemeinderats zum Thema Willi Warma, “Stahlstadtkinder” und der dadurch mögliche Imageschaden für die Stadt durch Textzeilen wie “Nirgendwo sonst gibt es so viele Polizisten / Legalisierte Terroristen / Nirgendwo sonst gibt’s täglich Smogalarm / Lustige Zombies in der Straßenbahn”) auf den Index gesetzt, was einem Spiel- und Sendeverbot gleichkommt.
NIEMAND LIEBT MICH Das Jahr 1981 hält für Willi Warma aber auch
noch andere nicht gerade gute Überraschungen parat. Drummer Christian
Unger verlässt die Band und geht zum Schlagzeugstudium in die USA.
In Folge testen Willi Warma Ende 1981 drei Drummer: den Wiener Gerhard
“Hardy” Walenta (Ex-Mordbuben AG), den Linzer Paul Fischnaller
(der jedoch seine Stammband Miss Molly's Favourites nicht verlassen kann
bzw. darf, als Ersatz-Drummer aber bei den – leider verschollenen
– Aufnahmen zur ersten, nie erschienenen LP in England mit dabei
ist) sowie den schon seit “Donaustrand”-EP-Tagen bekannten
Ronnie Urini. Die Entscheidung fällt auf Walenta, jedoch hat das
kurze Vorspielen von Urini ein äußerst unschönes Nachspiel.
Dazu Peter Donke: “Ronnie war ein paar Tage bei uns in Linz zum
Vorspielen, dabei haben wir auch ‚Niemand hilft mir’ gespielt.
Eine dazumal brandneue Komposition mit einem Super-Riff von Julius und
der genialen Idee von Kurt, den Konrad Bayer-Text dazu zu singen.” So zufällig die Wahl von Konrad Bayer, dem im Oktober
1964 durch Suizid aus dem Leben geschiedenen Mitglied (als Dandy eh schon
Popstar) der Wiener Gruppe (Oswald Wiener, Gerhard Rühm, H.C. Artmann,
Friedrich Achleitner) auch gewesen sein mag – sie zeigt einen intuitiven
Weitblick (zumal auf ein Gedicht, das an sich schon ein Poptext avant
la lettre ist), der nicht nur an Rolf Dieter Brinkmanns “Ich
hätte gern viele Gedichte so einfach geschrieben wie Songs”
erinnert, sondern auch dessen Faszination für Rock’n’Roll
als literarische Inspirationsquelle quasi umdreht. Die jetzt erstmals offiziell vorliegende, Ende 1981/Anfang 1982 produzierte Revox-Proberaumaufnahme stellt dann auch die größte Annäherung von Willi Warma an den “Raw Power”-Sound von Iggy & The Stooges dar. Ein paar Monate später erfahren Willi Warma, dass Urini im Linzer Eela Craig Studio gerade seine neue Single namens “Niemand hilft mir” abmischt – mit gleichem Arrangement und gleichen Vocal-Phrasierungen. Kurz entschlossen gehen Peter Donke und Kurt Holzinger der Sache nach und haben nach einigen Stunden einen geständigen Ronnie Urini vor sich. Man einigt sich – auch eingedenk der punkhistorischen Verdienste von Urini – auf eine Änderung der Credits im Sinne von Willi Warma. Als die Nummer schließlich 1984 von Ronnie Urini & die letzten Poeten veröffentlicht wird, gibt es Willi Warma nicht mehr, dafür wird Urini nun plötzlich als Co-Komponist angeführt und hat damit einen Hit, für den er bis heute in Internetforen und auf MySpace-Seiten als alleiniger Schöpfer – auch der Kombination von österreichischer Avantgarde-Lyrik und Rock’n’Roll – gepriesen wird.
ALLE WOLLEN GLÜCKLICH SEIN Willi Warma selbst entfremden sich hingegen untereinander
immer mehr. Zwar gelten sie nach wie vor als einer der besten –
wenn nicht sogar der beste – Live-Act des Landes, aber ohne Platte
im Rücken bzw. eine konkrete Aussicht auf eine kommende Veröffentlichung
sind auch die schönsten Live-Gigs nur die halbe Miete. Hinzu kommt
der hereinbrechende Siegeszug der halblustigen, ironisch distanzierten
und auf schrille Schlagerneubelebungen fixierten Neuen Deutschen Welle,
die weder mit Willi Warmas “Ich sprenge alle Ketten” (zu sehr
Punkrock) noch mit der Band an sich (zu viel Rock’n’Roll)
etwas anfangen kann. Zwar erscheint 1982 mit der Single “Dein Vater
ist gegen uns” / “Alle wollen glücklich sein” zumindest
auf der B-Seite (die A-Seite ist erneut eine klassische Hymne im flotten
Power-Pop-Gewand gegen väterliche Autoritäten) ein Stück
mit durchaus wavigem Keyboardsound, zackigem Basslauf und herrlichen Südsee-Licks
auf der Gitarre, aber trotz des genialen Textanfangs (“Hans war
noch klein, er wollte so sein wie die Rock’n’Roll-Stars und
die Spiders From Mars”) klingt das Ergebnis gemessen an den Erwartungen
eigentümlich weichgespült – der Produzent wollte es so. Nicht nur damals für jede Rock’n’Roll-Band ein Totschlagargument. Dementsprechend wird die Single (auf der aber auch das schöne Wort “Tastentelefon” vorkommt) zum Flop. Wahrscheinlich auch deshalb, weil sich hier – wie fast in der gesamten offiziellen Discographie – eine Diskrepanz zwischen Willi Warma als sexy Live-Institution und Willi Warma als Tonträgerprodukt auftut. Willi Warma sitzen, in einer Zeit, wo es weniger darum ging, nur gute Songs zu haben, sondern diese auch genau zum richtigen Zeitpunkt zu veröffentlichen, zunehmend orientierungslos zwischen den Stühlen. In Deutschland schon immer eher als Nachhut belächelt, bleibt ihnen in Österreich zwar das Publikum treu, nur haben selbst die treuesten Fans mittlerweile auch andere heimische Bands entdeckt, die mit Platten auf sich aufmerksam machen. Allein bei Willi Warma scheint sich diesbezüglich (auch wegen eines geradezu selbstzerstörerisch-manisch-depressiven – wir sind ja in Österreich – Perfektionismus) nichts zu tun, was der Band-Chemie alles andere als gut tut. Selbsthass war noch nie eine gute Motivation.
EXIT 1983 In diesem zerrissenen wie frustrierenden Klima entdeckt
Gitarrist Julius Zechner (der zu diesem Zeitpunkt auch als Kellner im
legendären Linzer Künstler- und Schwulen-Treffpunkt Badcafé
tätig und ausgelastet ist) nach und nach Hardrock und Heavy Metal
für sich, entfernt sich dementsprechend immer mehr von den nun doch
eher “modernen wavigen” Kompositionen des Songschreiber-Duos
Donke/Holzinger und wirft im Sommer 1982 das Handtuch. Als Ersatz kommt
Christoph “Mad Max” Raffetseder (von der Jay Band) als Art
“Mietgitarrist”. Um Weihnachten/Sylvester 1982/1983 wird noch
die Nummer “Die ganze Welt tanzt so wie du” aufgenommen. Mit
flotten Bläsern und wavig-hektischem Funk-Verständnis geht es
erneut um die Frage nach dem richtigen Leben im falschen. Ein subversiver
Party-Track – fast zu groß für Österreich und mit
Slogans wie “Fressen, ficken, sterben” gleich bewusst an Major-Angeboten
vorbeikomponiert. Das Ende kommt wenig später Anfang 1983. Nach dem ersten Auslandsgig (im Nürnberger KOMM) lösen sich Willi Warma, trotz weiterer Konzertangebote, während der Heimfahrt nach Linz auf. Natürlich ist man im Nachhinein immer klüger, bescheidwisserischer und kann damals lose herumflatternde Fäden besser miteinander verknüpfen. Und natürlich ist die Geschichte von Willi Warma auch eine der verpassten bis vergeudeten Chancen, eines too much too soon (noch dazu in Österreich) von geradezu melodramatischen Ausmaßen (wobei wir wieder beim Kino und Pop als Bigger-than-life-Versprechen wären). Aber einerseits erschließt sich Pop eben auch immer retroaktiv, und andererseits sind solche Dramen gerade das, was im Pop als unerfüllte Wünsche in Erinnerung bleibt.
POST SCRIPTUM Nach dem offiziellen Ende treten Willi Warma 1984 noch
einmal in Originalbesetzung in der von Kurt Holzinger initiierten Show
“Stabilimento Technico Triestina” auf. Donke und Zechner gründen
zusammen mit dem Drummer Paul Riedl die bald äußerst beliebte
“Wochenend-Hardrockband” Dynamo Urfahr (mit der Zechner aber
auch unglaubliche Shirley Bassey-Covers vorträgt). Zusammen mit Holzinger
spielen sie 1986 unter dem Namen Willi Warma bei einem Open-Air im Mölltal
in strömendem Regen vor einer Horde besoffener schwedischer Jungtouristen
und treten bei der Roadville Show “Straße der Sehnsucht”
(Assoziierte Produzenten/Linz) im Rahmen der Ars Electronica auf. Später
treffen sie beim sporadischen Linzer All-Star-Kollektiv Enver Hoxha Revivalists,
das fast die gesamte Linzer Musikszene zwischen Stadtwerkstatt und Kapu
versammelt, wieder zusammen. Etwa zur selben Zeit erfährt Donke von
Julius Zechner, das dieser an AIDS erkrankt ist. Ein Schock für die
Linzer Szene, war doch das schwule Element, Zechners offensive gayness,
ein szenenvermischendes Markenzeichen von Willi Warma, und Zechners Gitarrenstil
auch für die junge, um die Kapu und Bands wie Target Of Demand, Seven
Sioux (u.a. mit Kurt Holzinger als Kurzzeitmitglied) oder Stand To Fall
sich entwickelnde Linzer Punk- und Hardcore-Szene ein wichtiger Impulsgeber.
Zechner arbeitet in der Folge als politischer Aktivist der Homosexuellen
Initiative (HOSI) Linz gegen die Diskriminierung AIDS-Kranker und macht
gleichzeitig als flamboyante wie famose “Doris Gay” bei der
Drag-Queen-Truppe “La Rabiata” die gay eighties in Linz zu
einem unvergesslichen Erlebnis. Julius Zechner stirbt im Frühjahr
1992.
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